In der Verkehrsunfallregulierung nach einem Verkehrsunfall kommt es zwischen dem Anspruchsteller und dem Haftpflichtversicherer nicht selten zu Meinungsverschiedenheiten über die Höhe des zu ersetzenden Fahrzeugschadens im Rahmen der fiktiven Abrechnung des Schadens. Also immer dann, wenn sich der Geschädigte den durch den Sachverständigen kalkulierten Schaden auszahlen und das Fahrzeug nicht reparieren lassen möchte, wird das durch den Geschädigten in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten einer eingehenden Prüfung durch den Versicherer bzw. durch ein Auftragsunternehmen, wie z.B. der Firma ControlExpert GmbH, unterzogen.
In diesem Beitrag sollen der Frage nachgegangen werden, wie belastbar der Inhalt eines Prüfberichts im Einzelfall ist. Denn in dem hier zugrunde gelegten Beispiel sind dem Geschädigten durch den Versicherer immerhin 1.356,39 Euro weniger ausgezahlt worden, als er sich ursprünglich vorgestellt hatte.
Fallbeispiel aus der Praxis eines Verkehrsanwalts in Berlin
Bei dem hier hier behandelten Beispielsfall (Az.: 114/23) handelt es sich um einen Fahrzeugschaden, der sich am 19.05.2023, in Berlin ereignete. Bei dem Fahrzeug des Geschädigten handelt es sich um ein Wohnmobil der Marke Mercedes Benz. Typ Sprinter 3015 CDI mit einer Motorleistung von 135 kw bei 2987 ccm, Erstzulassung erfolgte am 22.10.2007. Das Fahrzeug verfügt über eine 5-Gang-Automatikgetriebe. Der Fahrzeugzustand wird in dem Gutachten, das der Geschädigte in Auftrag gegeben hat, als gut bezeichnet.
Gegenständlich hat der Kfz-Sachverständige die unfallbedingten Reparaturkosten in seinem Sachverständigengutachten mit 2.823,52 Euro (ohne Mehrwertsteuer) beziffert. Der Wiederbeschaffungswert hat der Sachverständige mit 16.500,00 Euro bestimmt. Der regionale Restwert wurde mit 7.450,00 Euro kalkuliert.
Das von dem Geschädigten vorgelegte Sachverständigengutachten hat der Versicherer durch die Firma ControlExpert GmbH prüfen lassen. Der erstellte Prüfbericht der Firma ControExpert vom 27.06.2023 brachte umfangreiche Abzüge in Ansatz, die für einen Laien augenscheinlich nachvollziehbar dokumentiert wurden.
Der Versicherer hat die Reparaturkosten sodann gemäß Prüfbericht mit 1.467,13 Euro abgerechnet. Dies ergibt mithin eine Differenz von 1.356,39 Euro, die dem Geschädigten in Abzug gebracht worden sind.
Kritische Auseinandersetzung mit dem Prüfbericht durch den Sachverständigen
Dieser Prüfbericht vom 27.06.2023 wurde sodann dem Kfz-Sachverständigen mit der Bitte um Prüfung übersandt, der hierzu am 17.08.2023 wie folgt ausführlich und nachvollziehbar Stellung nahm. Gleichzeitig wurde der Versicherer aufgefordert, den Differenzbetrag zur Auszahlung zu bringen. Eine Reaktion des Versicherers steht noch aus. Ich werde hierzu berichten.
Nr. | Stellungnahme des Sachverständigen zum Prüfbericht | Differenzbetrag zum Prüfbericht in Euro |
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1 | Die vorderen Einparksensoren sind nach der Reparatur dahingehend zu prüfen, ob diese den Herstellervorgaben entsprechend auf Hindernisse ansprechen. In diesem Arbeitsschritt ist der Zeitaufwand von 5 Arbeitswerten innerhalb der Kalkulation in Ansatz gebracht worden. Dies hat nichts mit „Grundregeln der Instandsetzung“ zu tun; schon gar nicht fällt dafür kein Arbeitsaufwand an. Deshalb ist der vorgenommene Abzug in Höhe von 119,00 € ungerechtfertigt. | 119,00 |
2 | Das Auslesen des Fehlerspeichers vor Beginn der Reparatur ist erforderlich, um festzustellen, ob unfallbedingt Fehler im Bordnetz des Fahrzeugs verursacht worden sind. Deshalb ist der vorgenommene Abzug in Höhe von 71,40 € ungerechtfertigt. | 71,40 |
3 | In der Kalkulation des Gutachtens ist nicht „Fehlersuche/Fehlerspeicher löschen / GFS / Kurztest“ in Höhe von 4 AW in Ansatz gebracht worden, sondern „Fehlerspeicher nach Reparatur auslesen und auswerten“. Dieser Arbeitsschritt ist erforderlich, um festzustellen, ob reparaturbedingt Fehler im Bordnetz des Fahrzeugs verursacht worden sind. Dieser Vorgang läuft wie folgt ab: Fehlerspeicherauslesegerät herbeischaffen und anschließen 1 AW Ausleseprogramm hochfahren und Systemtest durchführen 1 AW Fehlerspeicher auslesen, Protokoll ausdrucken und auswerten 1 AW Ausleseprogramm herunterfahren, Fehlerspeicherauslesegerät aus- 1 AW schalten, abklemmen und wegräumen Gesamt: 4 AW Deshalb ist der vorgenommene Abzug in Höhe von 23,80 € ungerechtfertigt. | 23,80 |
4 | Die vorderen Stoßfängerhalter sind unfallbedingt gestaucht und deshalb zu erneuern. Deshalb sind die vorgenommenen Abzüge in Höhe von 2x 47,60 € und 2x 13,18 € ungerechtfertigt. | 121,56 |
5 | Weshalb – im Gegensatz zu allen anderen Positionen der Kalkulation – der Aufschlag auf die UPE nicht erstattungsfähig sein soll, kann dem Prüfbericht nicht entnommen werden. Offensichtlich handelt es sich um einen willkürlichen und somit ungerechtfertigten Abzug in Höhe von 159,15 €. Anmerkung: Ersatzteile dieses Herstellers sind in der Region Berlin nur mit einem Aufschlag auf die UPE des Herstellers erwerbbar. | 159,15 |
6 | In der Kalkulation sind keine Kosten für Unterlagen und Stempelgebühren in Ansatz gebracht wor-den, sondern Kosten für den Zulassungsdienst zur Kennzeichenerneuerung. Weshalb hier lediglich Kosten in Höhe von 50,00 € erstattungsfähig sein sollen, kann dem Prüfbericht nicht entnommen werden. Offensichtlich handelt es sich um einen willkürlichen und somit ungerechtfertigten Abzug in Höhe von 51,04 €. | 51,04 |
7 | In der Kalkulation des Gutachtens sind nicht „Beipolieren/Polieren/Finisharbeiten“ in Ansatz gebracht worden, sondern „Polieren zur Lackangleichung der angrenzenden Bereiche“. Dieser Arbeitsschritt ist erforderlich, um die bereits am Fahrzeug vorhandene Lackierung an die neu aufgebrachte Lackierung im Reparaturbereich so anzugleichen, dass hinterher kein optischer Unterschied vom Glanz mehr erkennbar ist. Deshalb ist der vorgenommene Abzug in Höhe von 119,00 € ungerechtfertigt. | 119,00 |
8 | Eine Rückfrage bei der Reparaturwerkstatt hat ergeben, dass diese nicht über eine eigene Lackiererei im Haus verfügt und deshalb das Fahrzeug in eine Lackiererei verbringen muss. Weshalb ausgerechnet bei dieser Position – im Gegensatz zu den anderen Positionen – ein Nachweis zu erbringen ist, kann dem Prüfbericht nicht entnommen werden. Offensichtlich handelt es sich um eine willkürliche und somit ungerechtfertigte Kürzung in Höhe von 150,00 €. | 150,00 |
9 | Eine telefonische Nachfrage bei der auf Seite 4 des Prüfberichts angegebenen „Werkstattalternative“ hat ergeben, dass es sich bei den angegebenen Verrechnungssätzen um spezielle, für die Versicherung vorgegebene Verrechnungssätze handelt, die nur bei Beauftragung durch die Versicherung in Ansatz gebracht werden. Deshalb sind die vorgenommenen Abzüge beim Arbeitslohn in Höhe von 157,70 € und bei der Lackierung in Höhe von 309,18 € ungerechtfertigt. | 466,88 |
Differenzbetrag zwischen dem Sachverständigengutachten und dem Prüfbericht | 1.281,83 |
Vorläufiges Fazit
Das gegenständliche Beispiel zeigt in aller Kürze anschaulich auf, um welche Summen in der Verkehrsunfallregulierung mitunter gestritten wird und welche Beträge den Geschädigten durch die jeweiligen Versicherer in Abzug gebracht werden. Insoweit ist es ratsam, nach einem Verkehrsunfall in der Regel einen Sachverständigen und einen Verkehrsanwalt hinzuzuziehen und diesen gegebenenfalls auch damit zu beauftragen, den Prüfbericht kritisch dahingehend zu prüfen, ob alle Abzüge auch zu Recht erfolgt sind. Ratsam ist es auch eine Verkehrsrechtsschutzversicherung zu unterhalten, damit die berechtigten Ansprüche notfalls auch gerichtlich durchgesetzt werden können.
© Der Autor Gregor Samimi ist Rechtsanwalt in Berlin und Fachanwalt für Strafrecht, Fachanwalt für Verkehrsrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht.