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Vergütungserstattungsanspruch eines Anwalts nach einem Verkehrsunfall bei eigener Beauftragung bzw. Selbstvertretung gegenüber dem Versicherer

Gegenständlich hatte sich das Amtsgericht Berlin-Mitte mit der Frage auseinanderzusetzten, ob ein Vergütungserstattungsanspruch zu bejahen ist, wenn sich der verkehrsunfallgeschädigte Rechtsanwalt sich mit der Durchsetzung der ihm erwachsenen Ansprüche sich selbst beauftragt. Diese Frage hat das Amtsgericht Mitte mit Urteil vom 15.03.2023, Aktenzeichen: 28 C 278/22 V, bejaht und hat seine Rechtsauffassung wie folgt begründet:

[…] Es gibt keinen rechtlichen Gesichtspunkt, der es vertretbar erscheinen ließe, dass der Geschädigte, der selbst Anwalt ist und seinen Schadensfall selbst bearbeitet, den Einsatz seiner beruflichen Arbeitskraft und Kenntnisse zugunsten des Schädigers umsonst leisten müsste. Unzweifelhaft könnte er, mit der sicheren Folge der Ersatzpflicht, einen anderen Anwalt mit der Bearbeitung seines Schadensfalles betrauen. Es ist ein gesicherter Grundsatz des Schadensersatzrechtes, dass die besonderen persönlichen Verhältnisse, weder des zum Ersatz Verpflichteten, noch des Geschädigten einen Anspruch auf Ermäßigung des Schadens begründen. So kann der Geschädigte, der selbst in der Lage ist, sein unfallgeschädigtes Kraftfahrzeug selbst zu reparieren, oder der Arzt, der seine Unfallverletzung selbst versieht, gleichwohl Ersatz der Kosten verlangen, die erforderlich wären, um die Leistung durch einen Dritten erbringen zu lassen. […]

Amtsgericht Mitte von Berlin, Urteil vom 15.03.2023, Aktenzeichen: 28 C 278/22 V

Damit hat das Amtsgericht den Argumenten des Krafthaftpflichtversicherers nicht angeschlossen und den beklagten Versicherer zur Zahlung von 261,30 Euro verurteilt. Der beklagte Krafthaftpflichtversicherer hat im Prozess im Wesentlichen wie folgt argumentiert:

Argumentation des Versicherers im Prozess

Der Versicherer hatte im gegenständlichen Fall sich gegen die Klageforderung verteidigt und umfangreich wie folgt vorgetragen:

„Denn dem Kläger steht ein Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten unter keinem Gesichtspunkt zu. Die vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten eines Rechtsanwalts, die er sich selbst in Rechnung stellt, sind keine nach §§ 249 ff. BGB zu ersetzende Schadensposition.

  1. Die konkrete anwaltliche Tätigkeit war aus der maßgeblichen Sicht des Klägers mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte weder erforderlich noch zweckmäßig.
  2. Zutreffender Maßstab kann nur sein, ob zum Zeitpunkt der erstmaligen Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen angesichts der Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten konkrete Anhaltspunkte dafür bestanden, dass der Schädiger seine Leistungspflicht in Abrede stellen würde.
  3. Die Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit hängen von der Person des Geschädigten ab. Denn im Schadensrecht gilt der Grundsatz, dass der Schaden subjektbezogen entsteht. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Geschädigte geschäftsgewandt ist und Sach- und Fachkenntnisse im Zusammenhang mit vergleichbaren Schadensfällen besitzt; so auch Landgericht Dresden, Urteil vom 01.03.2022 – 3 S 461/21.
  4. Der Kläger trägt nichts vor, dass es sich bei dem zu beurteilenden Fall nicht um einen solchen gehandelt hätte, der bereits mit einem ersten Aufforderungsschreiben an die Beklagte hätte erledigt werden können. Hier beschädigte der Fahrer des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeuges das ordnungsgemäß geparkte Fahrzeug des Klägers. Der Kläger dürfte dabei keine vernünftigen Zweifel gehabt haben, dass die Beklagte ihrer Ersatzpflicht nicht nachkommen werde.
  5. Selbst einem Leasingunternehmen mit eigener Rechtsabteilung ist es zumutbar den aufgrund eines Verkehrsunfalls entstandenen Schaden bei einem Haftpflichtversicherer selbst anzuzeigen. Nichts anderes darf es im Hinblick auf einen Geschädigten gelten, der darüber hinaus als Verkehrsrechtsanwalt tätig ist, vgl. AG Ahrensburg, Urteil vom 13.07.2022 – 49b C 120/22.
  6. Wie schon dargelegt, setzt die Erstattungsfähigkeit solcher Kosten voraus, dass die Maßnahme aus Sicht des Geschädigten zur Schadensbeseitigung erforderlich war; vgl. BGH, Urteil vom 08.11.1994 – VI ZR 3/94. Ist – wie vorliegend – die Verantwortlichkeit für den Schaden und die Haftung von vornherein nach Grund und Höhe derart klar, dass aus der Sicht des Geschädigten kein vernünftiger Zweifel daran bestehen kann, dass der Schädiger ohne weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen werde, so wird es nicht erforderlich sein, schon für die erstmalige Geltendmachung des Schadens gegenüber einem Versicherer einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen.
  7. Die einzige Aufgabe des Klägers war schließlich das Aufsetzen eines Schreibens mit Auflistung der Reparaturkosten und der Wertminderung, welche ohnehin dem Sachverständigengutachten zu entnehmen waren, und einer allgemeinen Kostenpauschale sowie die Versendung dieses Schreibens. Die Beklagte regulierte den angemeldeten Schaden innerhalb von ca. 2 Wochen. Irgendwelche Anhaltspunkte für Diskussionen hinsichtlich des Unfallhergangs oder der Haftungsquote gab es nicht.
  8. Ein Schädiger hat nicht sämtliche adäquat verursachte Rechtsanwalts-kosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Hierbei erlaubt sich die Beklagte die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 22.06.2021 – VI ZR 353/20 zu zitieren: „Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch ist grundsätzlich, dass der Geschädigte im Innenverhältnis zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist und die konkrete anwaltliche Tätigkeit im Außenverhältnis aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war.“ [Eigene Anmerkung: Hier allerdings betreffend den Fall der Klage wegen Inverkehrbringens eines Kraftfahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung].
  9. Bereits im Innenverhältnis ist der Kläger zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten nicht verpflichtet. Denn: Es fehlt an einer Zahlungsverpflichtung des Klägers an sich selbst.
  10. Als Schaden unterliegen vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten dem allgemeinen Schadensrecht der §§ 249 ff. BGB. Dementsprechend muss im Innenverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und einem Geschädigten überhaupt ein Gebührenanspruch bestehen.
  11. Der Kläger ist einem Dritten gegenüber zur Zahlung der Rechtsanwaltsvergütung nicht verpflichtet. Der Gläubiger und der Schuldner der vom Kläger ausgestellten Rechtsanwaltsvergütung ist dieselbe Person. Es liegt damit ein Fall von Konfusion vor, durch welche eine Forderung erlischt. Eine erloschene Forderung kann aber keinen materiellen Schaden darstellen, welcher zu ersetzen sein könnte.
  12. Stellt sich der Kläger zudem selbst eine Rechnung aus, so verdient er an dem Schaden, was schließlich den Grundsätzen des Bereicherungs-verbot widerspräche. Ein Unfallgeschädigter soll Ersatz für seinen Schaden bekommen, durch die Schadensregulierung jedoch keinen Vermögensvorteil erreichen.
  13. Dass es auf einen vermeintlichen Zeitaufwand des Klägers nicht ankäme, sei vorsorglich auch erwähnt.
  14. Es ist schlussendlich nicht nachvollziehbar, weshalb der Kläger die Rechtsverfolgung in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt übernehmen musste. Ein Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten ist jedenfalls im Ergebnis – wie oben aufgezeigt – abzulehnen.
  15. Das Tätigwerden des Klägers als Rechtsanwalt war nicht erforderlich.
  16. Schlussendlich wird unsere Rechtsauffassung durch zahlreiche Gerichte bestätigt; so z.B. auch LG Dresden, Urteil vom 01.03.2022 – 3 S 461/21.“

Schadensrechtliche Abwicklung gebietet die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Hinblick auf die Schadenshöhe, die regelmäßig keinen einfach gelagerten Fall darstellt

Das Amtsgericht Berlin-Mitte führt in den Urteilsgründen in gebotener Ausführlichkeit weiter wie folgt aus und tritt der Argumentation des Versicherers in den Urteilsgründen entgegen:

„Das Gericht teilt aber die Ansicht des BGH, dass die schadensrechtliche Abwicklung eines Verkehrsunfalls, an dem zwei Fahrzeuge beteiligt waren, jedenfalls im Hinblick auf die Schadenshöhe regelmäßig keinen einfach gelagerten Fall darstellt (BGH NJW 2020, 144 Rn. 24 mwN). Dabei wird zu Recht darauf abgestellt, dass bei einem Fahrzeugschaden die rechtliche Beurteilung nahezu jeder Schadensposition in Rechtsprechung und Lehre seit Jahren intensiv und kontrovers diskutiert wird, die umfangreiche, vielschichtige und teilweise uneinheitliche Rechtsprechung hier zu nach wie vor fortentwickelt wird und dementsprechend zwischen den Geschädigten und den in der Regel hoch spezialisierten Rechtsabteilungen der Haftpflichtversicherer nicht selten um einzelne Beträge bis in die letzte Gerichtsinstanz gestritten wird. Bei Unklarheiten im Hinblick jedenfalls auf die Höhe der Ersatzpflicht, wie sie typischerweise bei Fahrzeugschäden nach einem Verkehrsunfall bestehen, darf aber auch und gerade der mit der Schadensabwicklung von Verkehrsunfällen vertraute Geschädigte vernünftige Zweifel daran haben, dass der Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer ohne Weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen wird. Dass der erfahrene Geschädigte durchaus in der Lage sein wird, den Unfallhergang zu schildern und – gegebenenfalls unter Beifügung eines Sachverständigengutachtens – die aus seiner Sicht zu ersetzenden Schadenspositionen zu beziffern, macht den Fall selbst bei Eindeutigkeit des Haftungsgrundes nicht zu einem einfach gelagerten und schließt deshalb die Erforderlichkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts nicht aus. So liegt der Fall hier. Beim Unfall am 15. November 2019 beschädigte das bei der Beklagten versicherte Kfz das Fahrzeug des Klägers.“

Autor/in des Artikels: Rechtsanwalt Gregor Samimi
Dieser Artikel wurde herausgegeben von Gregor Samimi.

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