Was taugt die Lebensversicherung noch? Private Lebensversicherer haben in den letzten Jahrzehnten bei den Bürgerinnen und Bürgern große Erwartungen geweckt, die oft nicht erfüllt werden können. In der Februar Ausgabe 2016 der Zeitschrift Finanztest wird hierüber ausführlich berichtet. Dort wurden 90 Verträge unter die Lupe genommen. Das Ergebnis ist ernüchternd. Was Sie tun können, um Verluste zu minimieren erfahren Sie hier.
Kerngedanke der Lebensversicherung
In Deutschland bestehen zurzeit ca. 92 Millionen Lebensversicherungen.[1] Mit mehr Lebensversicherungen als Bundesbürgern ist diese die am weitesten verbreitete Versicherung in Deutschland. Ungefähr 33,7 Prozent aller Haushalte besitzen eine solche Police. Ziel der Versicherten ist es eine zusätzliche Altersabsicherung durch Vermögensaufbau zu schaffen und oftmals auch die Angehörigen im Todesfalle finanziell abzusichern. Dafür zahlt der Versicherungsnehmer den Versicherungsbeitrag. Dies erfolgt entweder direkt als Einmalbeitrag bei Versicherungsabschluss oder im Regelfall monatlich über Jahre verteilt. Der Versicherer ist verpflichtet mit den Beiträgen einen Gewinn zu erwirtschaften, um somit den Garantiewert einhalten zu können.
Nach Eintritt des Versicherungsfalles, meist im hohen Alter, erfolgt die Auszahlung der Versicherungssumme entweder direkt an den Versicherungsnehmer oder im Todesfalle an die Bezugsberechtigten, meist die Angehörigen.
So auch im Fall von Ralf R. Dieser schloss in jungen Jahren eine Lebensversicherung ab, um sich eine zusätzliche Altersabsicherung zu verschaffen. Ihm wurden bei einer Rendite von 7 Prozent, die Auszahlung von 100.000 € bei Eintritt des Versicherungsfalles in Aussicht gestellt.
Verschiedene Arten der Lebensversicherung
Bei einer Lebensversicherung wird grundsätzlich das Leben des Versicherungsnehmers als Risiko wirtschaftlich abgesichert. Dabei ist zunächst zwischen der Risikolebensversicherung und der Kapitallebensversicherung zu unterscheiden.
Bei der Ausgestaltung des Versicherungsfalles gibt es eine Reihe von Möglichkeiten. So wird meist als Versicherungsfall der Eintritt des Todes (Todesfall) vereinbart. Verstirbt der Versicherungsnehmer innerhalb der Versicherungszeit, wird die Versicherungssumme an die Bezugsberechtigten, meist die Hinterbliebenen, ausgezahlt. Überlebt der Versicherungsnehmer jedoch die vereinbarte Versicherungszeit, besteht kein Leistungsanspruch. In einem solchen Fall spricht man von einer Risikolebensversicherung.
Verbreitet ist auch den Versicherungsfall vom Erreichen eines bestimmten Alters abhängig zu machen. Erreicht der Versicherungsnehmer das vereinbarte Alter, bekommt er die Versicherungssumme ausgezahlt (Erlebensfall). Man spricht von einer Kapitallebensversicherung.
Daneben existiert eine Mischform der Kapitallebensversicherung. Bei dieser sind die Angehörigen zusätzlich abgesichert, so dass sie beim frühzeitigen Tod des Versicherungsnehmers auch die Versicherungssumme erhalten. Des Weiteren existiert eine reine Absicherung des Todes für die gesamte Lebenszeit. Bei der Sterbegeldversicherung wird somit nur im Todesfall die Versicherungssumme fällig.
Auch verbreitet ist eine Lebensversicherung mit festem Termin zur Auszahlung der Versicherungssumme nach dem Todesfall.
Daneben existieren noch eine Vielzahl von anderen Lebensversicherungen, die die klassische Lebensversicherung mit anderen Finanzprodukten, wie zum Beispiel einem Fonds oder Aktien verbinden.
Ralf R. besitzt eine klassisch gemischte Kapitallebensversicherung, bei der die Versicherungssumme sowohl bei Eintritt des Todes an die Angehörigen als auch mit Erreichen eines gewissen Alters an Ihn ausgezahlt wird.
Zusammensetzung des Beitrags und der Versicherungssumme in der Lebensversicherung
Nach Abschluss der Lebensversicherung zahlt der Versicherungsnehmer meist monatlich eine Prämie bis die vereinbarte Versicherungszeit oder die vereinbarte Versicherungssumme erreicht wurde. Die Prämienhöhe wird nach dem Äquivalenzprinzip berechnet.
Das Äquivalenzprinzip besagt, dass bei der Berechnung des Versicherungsbeitrages die Berechnung allein auf den Rechnungsgrundlagen des Versicherers basieren und kein weiterer Gewinnzuschlag vorgenommen wird. Die Rechnungsgrundlagen setzen sich aus der Sterbetafel (Wahrscheinlichkeit des Todes für ein gewisses Alter), dem Rechnungszins und den angesetzten Kosten des Versicherers zusammen. Konkret bedeutet dies, dass das Alter des Versicherungsnehmers, die Verwaltungskosten der konkreten Versicherung und der Rechnungszins die Höhe des Beitrages bestimmen.
Gemäß § 153 I VVG steht dem Versicherungsnehmer eine Beteiligung an dem Überschuss und an den Bewertungsreserven des Versicherers zu (Überschussbeteiligung). Der Überschuss wird jährlich im Rahmen des handelsrechtlichen Jahresabschlusses berechnet. Der Versicherer entscheidet dabei, wieviel er von dem Überschuss per Direktgutschrift an den Versicherungsnehmer weitergibt und wieviel erst einmal zurückgelegt wird. Die zurückgelegten Beiträge können für Direktgutschriften in den Folgejahren verwendet werden, um eine möglichst stabile Auszahlung zu gewährleisten.
Die Überschussbeteiligung ist als solche gesetzlich garantiert. Jedoch besteht kein Anspruch auf Erwirtschaftung der Überschüsse. Werden somit keine erwirtschaftet können folglich auch keine ausgezahlt werden.
Magere Rendite in der Lebensversicherung
Aufgrund der wirtschaftlichen Situation und der Niedrigzinspolitik der europäischen Zentralbank, sowie der Investition der Versicherer in festverzinsliche Wertpapiere und deren niedrigem Zinsstand, sowie den zusätzlichen hohen Verwaltungskosten, können die Versicherer Lebensversicherungen nicht mehr zu günstigen Konditionen anbieten.
Vielmehr fallen Garantiezinsen und Überschussbeteiligungen in den letzten Jahren stetig. 2016 erreichte die durchschnittliche Gesamtverzinsung der Versicherer einen historischen Tiefstand von nur noch 2,86 Prozent bei einer durchschnittlichen Rendite von 3,11 Prozent. Der Garantiezins beträgt im Jahr 2016 nur noch 1,25 Prozent. Für 2017 wurde bereits im Bundesgesetzblatt eine Senkung auf 0,9 Prozent veröffentlicht. Somit verliert der Abschluss von Lebensversicherungen stetig an Attraktivität und auch Bestandskunden sind verunsichert.
Ralf R. beobachtet die aktuelle Niedrigzinspolitik mit Skepsis und fragt sich, ob sich seine Lebensversicherung in Zukunft noch lohnen wird. Bei Abschluss der Versicherung wurde ihm ein Betrag von 100.000 € in Aussicht gestellt. Dieser wurde nun auf 60.000 € herunterkorrigiert. Was kann Ralf tun?
Lohnt sich die klassische Lebensversicherung noch?
Immer mehr Versicherungsnehmer sind unzufrieden mit der niedrigen Rendite und denken über alternative Möglichkeiten der Altersabsicherung nach. Bevor über Alternativen nachgedacht werden sollte, gibt es zunächst eine Reihe von Möglichkeiten mit der vorhandenen Versicherung umzugehen.
Welche Möglichkeiten bestehen mit der alten Lebensversicherung zu verfahren?
Zunächst gilt es den Versicherungsvertrag und insbesondere die allgemeinen Versicherungsbedingungen, möglichst zusammen mit einem Spezialisten, sorgfältig zu prüfen, um eine erste Einschätzung vornehmen zu können.
Fast immer besteht die Möglichkeit den Vertrag vorzeitig zu Kündigen und sich den Rückkaufswert auszahlen zu lassen. Dabei ist allerdings mit erheblichen Verlusten zu rechnen. Besonders bei Altverträgen, die noch von hohen Garantiezinsen profitieren, ist vor einer Kündigung sorgfältig abzuwägen, ob nicht doch eine bessere Möglichkeit besteht.
Bei der Berechnung des Rückkaufswertes durch den Versicherer ist Vorsicht geboten. Versicherungsverträge, die ab dem Jahr 2008 geschlossen wurden, genießen die Privilegierung des § 169 III VVG. Der Rückkaufswert beträgt mindestens das Deckungskapital.
Für Verträge, die ab 1994 und vor 2008 geschlossen wurden legte der Bundesgerichtshof einen Mindestbeitrag fest.
„Dieser Mindestbetrag wird bestimmt durch die Hälfte des mit den Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation berechneten ungezillmerten Deckungskapitals.“ (Urteil vom 12.10.2005, Az. IV ZR 162/03).
Somit ist dringend zu Raten die genaue Höhe des Rückkaufswertes selbständig zu überprüfen und gegebenenfalls einen Spezialisten damit zu beauftragen die Summe unter Beachtung der Entscheidung des Bundesgerichtshofes erneut zu überprüfen. Die Kündigung der Lebensversicherung sollte jedoch aufgrund der hohen Verluste das letzte Mittel sein.
Ralph R .informierte sich bei seiner Versicherung über den Rückkaufswert. Diese gab zunächst einen deutlich zu niedrigen Betrag an. Erst mit dem Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofes wurde der Rückkaufswert auf den angemessenen Betrag korrigiert. Ralph R. entschied sich letztendlich jedoch gegen die Auszahlung des Rückkaufswertes, da er sonst erhebliche Verluste gemacht hätte.
Anders hingegen Martin S. Dieser besaß eine Lebensversicherung und befand sich in einer finanziellen schwierigen Situation. Als letzter Ausweg blieb ihm die Kündigung seiner Lebensversicherung. Da dies vor Ablauf der regulären Versicherungszeit geschah, wollte ihm der Versicherer einen Rückkaufswert von lediglich 1.700 € auszahlen. Martin S. hatte zu diesem Zeitpunkt bereits 13.000 € in die Versicherung eingezahlt. Daraufhin wendete er sich an einen Fachanwalt für Versicherungsrecht. Dieser verhalf ihm zur Durchsetzung seines Anspruches auf die Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals.
Eine weitere Möglichkeit bietet die Prämienfreistellung. Dabei wird gemäß § 165 I VVG die Versicherung in eine prämienfreie Versicherung umgestellt, wenn die vereinbarte Mindestversicherungsleistung erreicht wurde. Wurde diese nicht erreicht wird der Vertrag beendet und der Rückkaufswert ausgezahlt.
Bei einem finanziellen Engpass bietet sich auch eine Beitragsfreistellung an. Abhängig von Ihren Versicherungsbedingungen kann der Vertrag damit ohne Zahlung des Versicherungsbeitrages für eine Zeit stillgelegt werden. Beachten Sie aber dabei, dass sie die fehlenden Beiträge nach der Stilllegung nachzahlen müssen.
Eine bessere Alternative bietet die Beleihung oder der Verkauf der Versicherungspolice. Die Versicherungspolice kann auf dem Zweitmarkt für Lebensversicherungen entweder direkt verkauft werden oder beliehen werden. Meist wird damit eine deutliche höhere Rendite, als mit der Rendite der Versicherer, erzielt.
Für Ralph R. stellte der Verkauf seiner Police auf dem Zweitmarkt für Lebensversicherungen letztendlich die beste Option dar. Dort gelang es ihm für seine Police eine höhere Rendite zu erzielen und die unattraktive Lebensversicherung los zu werden.
Der Widerspruch in der Lebensversicherung kann helfen Verluste zu vermeiden
Schließlich ist auch eine Rückabwicklung des Vertrages eine Option. Zu Fehlern in der Widerrufsbelehrung und deren Folgen sowie dem Urteil des Bundesgerichtshofes erfahren Sie hier mehr: Lebensversicherung: „So retten Sie sich vor den Verlusten!“
Martina K. schloss 2002 eine Lebensversicherung ab. Anfangs zahlte sie regelmäßig ihre Beiträge ein. 2005 erwarb sie eine Eigentumswohnung und nahm zur Finanzierung einen Kredit auf. Nachdem sie 2016 das Renteneintrittsalter erreichte, reduzierte sich ihr Einkommen erheblich. Die Bedienung des Kredites war ihr nicht mehr möglich. Sie beschloss ihre Lebensversicherung zu kündigen. Bei der Recherche nach bestmöglichen Kündigungsmöglichkeiten stieß sie auf das Urteil des Bundesgerichtshofes und beauftrage einen Fachanwalt für Versicherungsrecht mit der Überprüfung ihres Vertrages. Dieser konnte die Fehlerhafte Widerrufsbelehrung identifizieren und setze im Rahmen des Widerrufs eine Vollständige Erstattung ihrer bereits eingezahlten Beiträge zuzüglich Zinsen durch.
Das Bezugsrecht in der Lebensversicherung
Grundsätzlich stehen dem Versicherungsnehmer die Leistungen aus der Lebensversicherung zu. Gemäß § 159 I VVG kann der Versicherungsnehmer ein Bezugsrecht festlegen. Bei der Risikolebensversicherung und der gemischten Form der Kapitallebensversicherung sollte jedoch ein Bezugsrecht für den Todesfall bestimmt werden. Meist werden für den Todesfall die Angehörigen des Versicherungsnehmer als Begünstige eingetragen. Bei Eintritt des Versicherungsfalles durch den Todesfall erhält der Bezugsberichtige somit einen Anspruch auf Auszahlung der Versicherungssumme gegen den Versicherer. Die Zuwendung der Versicherungssumme aus dem Bezugsrecht wird rechtlich als Schenkung bewertet, so dass diese grundsätzlich nicht in die Erbmasse fällt.
Norbert. K möchte für den Todesfalle seine Ehefrau und seine beiden Kinder mit der Versicherungssumme absichern.
Wichtig: Wird eine Eintragung vor Eintritt des Todesfalles nicht vorgenommen fällt die Versicherungssumme grundsätzlich in die Erbmasse und geht an die Erben über.
Bei der Erteilung des Bezugsrechtes ist zwischen einem widerruflichen § 159 II VVG und unwiderruflichen § 159 III VVG zu unterscheiden. Das unwiderrufliche Bezugsrecht kann nicht ohne Zustimmung des Bezugsberechtigten widerrufen werden. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass das widerrufliche Bezugsrecht beliebig oft geändert werden kann. Das widerrufliche Bezugsrecht ist dabei lediglich die Inaussichtstellung auf Erwerb einer zukünftigen Anspruches wohingegen das unwiderrufliche Bezugsrecht den Anspruch rechtlich bereits bei Benennung aus einem Vertrag zugunsten Dritter entstehen lässt.
Norbert K. entscheidet sich ein widerrufliches Bezugsrecht für seine Ehefrau und seine beiden Kinder zu benennen. Dabei sollen sie jeweils zu einem Drittel aus der Lebensversicherung bedacht werden.
Oftmals wird in einer Sterbegeldversicherung ein Bestattungsunternehmen als unwiderruflich Bezugsberechtigt eingetragen, damit ihm bei Eintritt des Todesfalles die Auszahlung der Versicherungssumme zur Deckung der Bestattungskosten zu Gute kommt.
Erwin S. schloss eine gemischte Kapitallebensversicherung ab. Für den Todesfall setzte er seine beste Freundin Denise B. als Bezugsberechtigte ein. In der Folgezeit heiratete Erwin S. die Manuela K. Zunehmend verschlechterte sich das Verhältnis zu Denise B.
Als Erwin S. unerwartet verstarb wendete sich seine Ehefrau Manuela K. mit der Bitte der Auszahlung der Versicherungssumme an die Versicherung. Diese lehnte die Zahlung mit der Begründung ab, dass Denise B. als Bezugsberechtigte in der Versicherung vermerkt sei. Mit Hilfe eines Fachanwaltes für Versicherungsrecht gelang es Manuela K. die Bezugsberechtigung erfolgreich anzufechten und letztendlich die volle Versicherungssumme vom Versicherer zu erhalten.
Die private Rentenversicherung
Ungefähr 17,48 Prozent besitzen in Deutschland eine private Rentenversicherung. Kerngedanke der privaten Rentenversicherung ist die Altersabsicherung. Der Versicherungsnehmer möchte mit Eintritt des Rentenalters entweder vollständig oder neben der gesetzlichen Rente durch Leistungen aus der privaten Rentenversicherung abgesichert sein.
Die wirtschaftliche Situation und die Niedrigzinspolitik der europäischen Zentralbank wirkt sich ebenfalls negativ auf die privaten Rentenversicherungen aus. Die Rendite ist in den letzten Jahren stetig gefallen, so dass die private Rentenversicherung zunehmend an Attraktivität verliert. Der für 2017 angekündigte Garantiezins von lediglich 0,9 Prozent gilt auch für die private Rentenversicherung.
Grundsätzlich gelten somit für die private Rentenversicherung die Ausführungen zur Lebensversicherung. Wer bereits eine private Rentenversicherungspolice hat, sollte umgehend genauestens die verschiedenen Möglichkeiten abwägen.
Letztendlich wird sich dabei oftmals ein Verkauf auf dem Zweitmarkt anbieten. Auch sollten die privaten Rentenversicherungsverträge von einem Spezialisten auf etwaige Fehler in der Widerrufsbelehrung überprüft werden.
Erfreuliche aktuelle Urteile des Bundesgerichtshofes zum Widerspruch in der Lebensversicherung
Mit den zwei Entscheidungen vom 29.07.2015, Az. IV ZR 384/14 und Az. 448/14 präzisiert der Bundesgerichtshof die Folgen des Widerspruchs bei Lebens- und Rentenversicherungen, sowie Zusatzversicherungen zu Lebensversicherungen für den Verbraucher.
Rechte des Versicherungsnehmers in der Lebensversicherung
Der Bundesgerichtshof stellt grundsätzlich fest, dass eine fehlerhafte Belehrung des Kunden über sein Widerspruchsrecht gemäß § 5a VVG alte Fassung die Widerspruchsfrist erst gar nicht beginnen lässt. Vielmehr gilt dieses als sogenanntes „ewiges Widerrufsrecht“ fort. Der Versicherungsnehmer kann auch noch nach Jahren nach Vertragsschluss seinen Vertrag widerrufen.
Konkret wurde in den zwei zu entscheidenden Fällen der Versicherungsnehmer wie folgt über sein Widerspruchsrecht belehrt:
„WIDERSPRUCHSRECHT
Wie Ihnen bereits auf Grund unseres Hinweises im Versicherungsantrag bekannt ist, können Sie innerhalb von 14 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheins dem Versicherungsvertrag widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs.“
Diese Belehrung entsprach nicht den damaligen gesetzlichen Anforderungen, da der Kunde weder darüber Belehrt wurde, dass der Widerspruch in Textform erfolgen musste. Noch erfolgte die Belehrung über den Beginn der Frist gemäß § 5a I 1, II 1 VVG a.F. korrekt, da nur auf den Erhalt des Versicherungsscheines und nicht wie vom Gesetz gefordert auf den Erhalt von zusätzlich Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen belehrt wurde. In Folge dessen waren beide Widerrufsbelehrungen fehlerhaft und entfalteten keine Wirkung.
Grundsätzlich sah der damalige § 5a II Satz 4 VVG a.F. einen Ausschluss des Widerspruchrechts, auch bei fehlerhafter Belehrung, nach Ablauf von 1 Jahr vor. Der Bundesgerichtshof bezog sich auf die Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013, Az. C -209/12. Demnach ist nach der zweiten und dritten Richtlinie für Lebensversicherungen (90/619/EWG und 92/96/EWG) der § 5a II 4 VVG a.F. dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass er bei Lebens- und Rentenversicherungen, sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung, keine Anwendung findet. Folglich erlischt das Widerspruchsrecht nicht nach 1 Jahr.
Was bekommt der Versicherungsnehmer nach Ausübung des Widerspruchsrechts?
Grundsätzlich steht dem Versicherungsnehmer nach Ausübung des Widerspruchs ein Bereicherungsanspruch gegen den Versicherer auf Rückerstattung der gezahlten Prämien zu. So auch in den beiden Entscheidungen des Bundesgerichtshofes.
Somit besteht zunächst ein Anspruch auf Rückzahlung aller an den Versicherer geleisteten Prämienzahlungen. Jedoch muss sich der Versicherungsnehmer denjenigen Versicherungsschutz anrechnen lassen, den er bis zur Kündigung des Vertrages genossen hatte. Dabei kann der exakte Wert unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation von dem Gericht geschätzt werden. Nicht Abzugsfähig sind jedoch Abschluss- und Verwaltungskosten des Versicherers, da der europarechtliche Schutz des Versicherungsnehmers in den Fällen des Wirksamen Widerspruchs dem Versicherer das Entreicherungsrisiko auferlegt. Müsste der Versicherungsnehmer bei einem Widerspruch noch die Abschluss- und Verwaltungskosten tragen, würde das Widerspruchsrecht an Effektivität verlieren. Auch Ratenzahlungszuschläge sind nicht abzugsfähig.
Berücksichtigungsfähig hingegen ist jedoch die Kapitalertragssteuer nebst Solidaritätszuschlag, falls der Versicherer diese bereits an das Finanzamt für den Versicherungsnehmer abgeführt hat. Sollte es sich um eine fondgebundene Lebensversicherung halten, sind nach Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11.11.2015, Az. IV ZR 513/14 auch Verluste des Fond anzurechnen.
Insgesamt stehen dem Versicherungsnehmer bei einem wirksamen Widerspruch grundsätzlich die Rückzahlung der Prämienzahlungen sowie die vom Versicherer gezogenen Nutzungen zu. Bei den gezogenen Nutzungen liegt die Beweislast jedoch beim Versicherungsnehmer. Diese muss dem Versicherer einen konkreten Gewinn nachweisen. Dieser lässt sich meist anhand der Geschäftsberichte des Versicherers erechnen.
Davon darf der Versicherer die Kosten für den bereits erhaltenen Versicherungsschutz, meist in Höhe der Risikobeiträge abziehen. Nicht jedoch Abschluss- Verwaltungskosten und Ratenzahlungszuschläge!
Der Versicherer wendete sich gegen die beiden Urteile des Bundesgerichtshofes und legte beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde ein. Die Beschwerden wurden jedoch beide nicht zur Entscheidung angenommen und verworfen. Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 23.0.2016, Az. 1 BvR 2230/15 und 1 BvR 2231/15.
Was gilt es nun konkret zu tun?
Wer zwischen dem 29.07.1994 und dem 31.12.2007 eine Lebens- oder Rentenversicherung nach dem Policen-Modell abgeschlossen hat, kann grundsätzlich von dem „ewigen Widerrufsrecht“ betroffen sein.
Zunächst gilt es gründlich, am besten durch einen Fachanwalt für Versicherungsrecht, die Widerrufsbelehrung auf Fehler untersuchen zu lassen.
Weitergehende Infos
- BGH-Urteil zu Lebensversicherungen: Punktsieg für die Kunden, tagesschau.de
- Lebensversicherungskunden bekommen höhere Erstattung,www.welt.de
- BGH stärkt Rechte von Lebensversicherungs-Kunden, Handelsblatt
- Nach BGH-Entscheidung: So holen Sie Geld von Ihrer Lebensversicherung zurück, FOCUS
- Urteil des Bundesgerichtshofes vom 29.Juli 2015, Aktenzeichen IV ZR 384/14.
- Urteil des Bundesgerichtshofes vom 29.Juli 2015, Aktenzeichen IV ZR 448/14.
Immer einen Fachanwalt hinzuziehen
Für eine bestmögliche Beratung sollten Sie einen Spezialisten, nämlich einen Fachanwalt für Versicherungsrecht beauftragen. Dieser wird Ihnen beratend zur Seite stehen und kann Ihnen die bestehenden Möglichkeiten ausführlich erklären.
Rechtsanwalt Gregor Samimi ist Fachanwalt für Verkehrsrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht und Fachanwalt für Strafrecht in 12203 Berlin (Steglitz-Zehlendorf). Telefon 030 8860303. Kontaktieren Sie uns! Wir helfen Ihnen gerne weiter!
[1]Statistisches Taschenbuch der Versicherungswirtschaft, Seite 27. Abrufbar unter: https://www.gdv.de/wp-content/uploads/2015/09/Statistisches_Taschenbuch_2015_Versicherungswirtschaft_GDV.pdf