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Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG: So wehren Sie sich gegen verweigerte Akteneinsicht im Bußgeldverfahren

Erstellt von Rechtsanwalt Gregor Samimi, Fachanwalt für Strafrecht, Berlin, www.ra-samimi.de, aktualisiert am 10.10.2025, 1.523 Wörter, 8 Minuten Lesezeit. In diesem Artikel wird unter anderem auf den Antrag auf Akteneinsicht gemäß § 62 OWiG, den Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid und die Akteneinsicht bezüglich der Messdaten von PoliScanSpeed eingegangen.

Wenn die Bußgeldstelle Ihnen wichtige Unterlagen zur Messung verweigert – wie etwa den Eichschein, Wartungsnachweise oder die Messreihe – stehen Sie nicht schutzlos da. Als Betroffener haben Sie das Recht, die Richtigkeit der Messung überprüfen zu lassen. Wird die Akteneinsicht teilweise oder vollständig abgelehnt, kann ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 62 OWiG gestellt werden. In diesem Beitrag erläutere ich, wann und wie Sie diesen Antrag stellen sollten – und warum er in der Praxis oft über Erfolg oder Misserfolg eines Verfahrens entscheidet.

Im Ordnungswidrigkeitenverfahren – insbesondere bei Geschwindigkeits- oder Rotlichtverstößen – ist die vollständige Akteneinsicht die Grundlage einer effektiven Verteidigung. Ohne Zugang zu allen relevanten Unterlagen kann weder der Verteidiger noch ein Sachverständiger die Richtigkeit einer Messung zuverlässig prüfen.

Häufig verweigern Bußgeldstellen jedoch die Herausgabe bestimmter Unterlagen mit dem Hinweis, diese seien „nicht Bestandteil der Verfahrensakte“ oder die Messung sei „standardisiert“. Betroffene oder Verteidiger werden dann auf eine bloße Einsichtnahme „vor Ort“ verwiesen – ein Vorgehen, das den Verteidigungsrechten in der Praxis kaum gerecht wird.

Was bedeutet „Antrag auf gerichtliche Entscheidung“?

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG ist das gesetzliche Rechtsmittel gegen Maßnahmen oder Unterlassungen der Verwaltungsbehörde, etwa die Versagung oder Beschränkung der Akteneinsicht.

Er wird beim zuständigen Amtsgericht gestellt und soll sicherstellen, dass die Verteidigung alle Unterlagen erhält, die zur Überprüfung des Messvorgangs erforderlich sind.

Welche Unterlagen müssen zugänglich gemacht werden?

Nach der Rechtsprechung (u. a. VerfGH Saarland, OLG Zweibrücken, OLG Naumburg, BVerfG) gehören dazu insbesondere:

  • die Vorgangshistorie bzw. Datenverarbeitungshistorie,
  • Eichschein und PTB-Bauartzulassung,
  • Wartungs- und Lebensakte des Messgeräts,
  • Bedienungsanleitung,
  • Schulungsnachweis des Messpersonals,
  • Fotoprints und Messreihe der konkreten Messung,
  • sowie der Verkehrsbeschilderungsplan.

Diese Unterlagen sind nichtnice to have“, sondern entscheidend, um technische Fehler, falsche Auswertungen oder Bedienfehler aufzudecken.

Rechtliche Grundlage: faires Verfahren und Waffengleichheit

Das Akteneinsichtsrecht ergibt sich aus § 46 OWiG i. V. m. § 147 StPO, flankiert durch den Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 EMRK, Art. 20 GG).

Wird der Zugang zu verteidigungsrelevanten Informationen eingeschränkt, liegt regelmäßig ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör (Art. 103 GG) vor.

Die Rechtsprechung betont:

„Der Betroffene darf nicht in eine passive Rolle gedrängt werden. Eine effektive Verteidigung setzt vollständige Information voraus.“ – (BVerfG, Beschluss vom 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18)

Praktische Vorgehensweise

  1. Einspruch gegen den Bußgeldbescheid binnen 14 Tagen ab Zustellung einlegen.
  2. Umfassende Akteneinsicht beantragen – mit konkreter Benennung der Unterlagen.
  3. Wird die Einsicht verweigert oder eingeschränkt:
  4. Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG stellen.
  5. Der Antrag sollte ausführlich begründen, warum die Unterlagen für die Verteidigung erforderlich sind.
  6. Das Amtsgericht prüft dann, ob die Bußgeldbehörde ihre Pflicht zur Transparenz verletzt hat.

Fazit: Transparenz ist keine Gefälligkeit, sondern ein Recht

Gerade in Bußgeldverfahren, in denen standardisierte Messverfahren zur Anwendung kommen, gilt:

Nur wer alle Daten kennt, kann die Richtigkeit der Messung prüfen!

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist daher ein wichtiges Instrument, um das Recht auf faires Verfahren durchzusetzen und Bußgeldbescheide auf ihre tatsächliche und rechtliche Haltbarkeit zu überprüfen.

FAQ – Häufig gestellte Fragen zur Akteneinsicht im Bußgeldverfahren

1. Wann kann ich Akteneinsicht beantragen?

Sobald Ihnen ein Anhörungsbogen oder Bußgeldbescheid zugeht. Ihr Anwalt beantragt die Akteneinsicht bei der zuständigen Bußgeldstelle.

2. Was bedeutet „standardisiertes Messverfahren“?

Ein von der Rechtsprechung anerkanntes Verfahren, bei dem grundsätzlich von korrekten Messergebnissen ausgegangen wird – allerdings nur, wenn das Gerät ordnungsgemäß geeicht, gewartet und bedient wurde.

3. Was tun, wenn mir wichtige Unterlagen nicht herausgegeben werden?

Dann kann Ihr Verteidiger Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG stellen, um die vollständige Akteneinsicht gerichtlich durchzusetzen.

4. Muss ich zur Behörde fahren, um die Messdaten einzusehen?

Nein. Das ist unzumutbar. In der Regel müssen Ihnen die Daten in Kopie oder digital zur Verfügung gestellt werden.

5. Warum sind Wartungs- und Eichdaten so wichtig?

Weil sie zeigen, ob das Messgerät technisch einwandfrei war. Fehler oder abgelaufene Eichfristen können die Messung unverwertbar machen.

6. Kann ein fehlender Beschilderungsplan das Verfahren beeinflussen?

Ja. Ohne korrekte verkehrsrechtliche Anordnung oder Beschilderung kann eine Messung rechtswidrig sein.

7. Wer bezahlt das Gutachten, wenn Zweifel an der Messung bestehen?

Zunächst der Betroffene. Wird das Verfahren später eingestellt oder der Betroffene freigesprochen, trägt die Staatskasse die Kosten.

Formulierungsvorschlag / Muster zum Antrag auf gerichtliche Entscheidung

„Sehr geehrte Damen und Herren,

ich nehme Bezug auf Ihr Schreiben vom 01.10.2025 und reiche Ihnen die mir überlassene Bedienungsanleitung in Form der beiden DVDs mit Dank zurück.

Namens und kraft der Vollmacht meines Mandanten lege ich hiermit Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 62 OWiG

ein und beantrage gleichzeitig die nachfolgend näher bezeichnete Anordnung des zuständigen Amtsgerichts. Der Antrag richtet sich gegen die teilweise Versagung bzw. Beschränkung der von mir am 17.09.2025 beantragten Akteneinsicht durch die Bußgeldbehörde. § 62 OWiG ist das hierfür einschlägige Rechtsmittel.

I. Sachverhalt

Gegen meinen Mandanten wurde mit Bußgeldbescheid vom 04.09.2025 ein Verkehrsverstoß vorgeworfen.

Gegen den Bescheid wurde fristgerecht Einspruch eingelegt (Schriftsatz vom 17.09.2025) und zugleich umfangreiche Akteneinsicht/Beiziehung konkreter Unterlagen beantragt (Vorgangshistorie, Fotoprints, PTB-Bauartzulassung, Eichschein, Test-/Kalibrierungsfotos, Ausbildungsnachweise, Wartungsprotokolle/Lebensakte, Bedienungsanleitung, Verkehrsbeschilderungsplan, Kopie der Video-/Messaufnahme auf DVD-ROM u. a.).

Die Bußgeldstelle hat mir in ihrem Schreiben vom 01.10.2025 die Bedienungsanleitung in Form von zwei DVDs übersandt und im Übrigen die Übersendung der beantragten Unterlagen bzw. deren Beiziehung, mit der Begründung abgelehnt, der Antrag sei „nicht hinreichend begründet“ bzw. die Unterlagen seien nicht Bestandteil der Verfahrensakte oder nicht erforderlich. Ferner wurde ein Angebot gemacht, die Messserie nach Belehrung in den Räumen der ZBSt einzusehen (Terminvereinbarung telefonisch bei der ZBSt). Um Rücksendung der CDs innerhalb 3 Tagen wurde gebeten.

II. Zulässigkeit des Antrags

Der vorliegende Antrag ist zulässig. Gegen die von der Verwaltungsbehörde unterlassenen Maßnahme ist der Antrag nach § 62 OWiG statthaft; die Entscheidung über diesen Antrag trifft das nach § 68 OWiG zuständige Amtsgericht.

III. Rechtliche Grundlagen für die Beibringung / Offenlegung der geforderten Unterlagen

Das Recht auf Akteneinsicht des Verteidigers / Betroffenen ergibt sich für Bußgeldverfahren aus § 46 OWiG i.V.m. § 147 StPO; danach ist dem Verteidiger Einsicht in die Akten und amtlich verwahrte Beweisstücke zu gewähren, die dem Vorwurf zugrunde liegen oder zur Entlastung dienen können. Die beantragten Unterlagen betreffen unmittelbar die Richtigkeit und Verwertbarkeit der streitgegenständlichen Messung.

Die Form der Gewährung elektronischer Akteneinsicht (Übermittlung, Abruf, Einsicht in Diensträumen, Mitgabe von Ausdrucken/Datenträgern) regelt § 32f StPO; Zweckbindungen und Rückgabepflichten dürfen nicht dazu führen, rechtliches Gehör oder Verteidigungsrechte effektiv zu vereiteln. Pauschale oder nicht substantiiert begründete Ablehnungen sind nicht mit dem aus Art. 6 EMRK / Art. 20 i.V.m. Art. 2 GG folgenden Anspruch auf ein faires Verfahren vereinbar.

IV. Substantielle Begründung – Erforderlichkeit der Unterlagen

Die verweigerten Unterlagen sind sämtlich potenziell entscheidungserheblich und für die Überprüfung der Messrichtigkeit, der Gerätekonformität und der Schulung des Messpersonals notwendig.

Dies entspricht der ständigen obergerichtlichen und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung.

VerfGH Saarland, Beschl. v. 27.04.2018 – Lv 1/18: https://recht.saarland.de/bssl/document/NJRE001619703

→ Der Betroffene hat Anspruch auf Herausgabe bzw. Einsicht in alle Messdaten und Unterlagen, die zur nachträglichen Plausibilisierung der Messung erforderlich sind (Transparenzgebot).

BVerfG, Beschl. v. 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/11/rk20201112_2bvr161618.html

→ Die Verteidigung darf nicht in eine bloß passive Rolle gedrängt werden. Die Verweigerung von Zugang zu Messdaten verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör.

OLG Zweibrücken, Beschl. v. 11.01.2017 – 1 OWi 1 Ss Rs 1/17: https://www.landesrecht.rlp.de/bsrp/document/NJRE001420740

→ Der Verteidiger darf Unterlagen einsehen, die zur Überprüfung des standardisierten Messverfahrens erforderlich sind, auch wenn diese formal nicht „Teil der Akte“ sind.

Gerade beim PoliScanSpeed-Verfahren bestehen bekannte systemimmanente Fehlerquellen (z. B. Abweichungen durch Fahrzeugpositionierung, Auswerterahmen, Softwareversionen, Gerätekonfiguration). Ohne Kenntnis der Gerätehistorie, Wartung, Eichung und Schulung des Messpersonals kann die Verteidigung nicht effektiv prüfen, ob der konkrete Messwert zuverlässig ist.

Die Verweigerung mit der Begründung, die Messserie sei „nicht Bestandteil der Akte“, verkennt den materiell-rechtlichen Gehalt des § 147 StPO. Die Messreihe ist ein amtlich verwahrtes Beweisstück, da sie Grundlage der konkreten Messung und deren Validität ist. Der bloße Verweis auf eine Einsichtnahme in den Räumen der Behörde ist unzumutbar und unpraktikabel, insbesondere wenn der Verteidiger oder Sachverständige seinen Sitz außerhalb des Verwaltungsbezirks hat. Dies widerspricht dem Grundsatz der Waffengleichheit (Art. 6 EMRK).

Auch die Rückgabeverpflichtung binnen 3 Tagen für die überlassenen CDs ist unzumutbar und behindert die sachverständige Prüfung.

Ein solches Verhalten widerspricht dem Grundsatz des fairen Verfahrens, da dem Verteidiger ausreichend Zeit zur Sichtung, Sicherung und Begutachtung der digitalen Messdaten eingeräumt werden muss.

V. Verletzung des Anspruchs auf faires Verfahren

Die teilweise Versagung der Akteneinsicht verletzt den Anspruch des Betroffenen auf

– rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG),

– ein faires Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 6 EMRK),

– effektive Verteidigung (§ 137 Abs. 1 StPO).

Die Verwaltungsbehörde hat sich ihrer Verpflichtung entzogen, eine vollständige und transparente Grundlage der Beweisaufnahme zu schaffen. Ein pauschales Abstellen auf das „standardisierte Messverfahren“ ersetzt keine konkrete Überprüfbarkeit im Einzelfall.

Das Amtsgericht hat daher die Aufgabe, durch eine entsprechende Entscheidung gemäß § 62 OWiG sicherzustellen, dass die Verteidigungsrechte des Betroffenen gewahrt bleiben.

VI. Antrag

Es wird beantragt, die Bußgeldstelle zu verpflichten, dem Verteidiger Einsicht in bzw. Überlassung folgender Unterlagen zu gewähren:

  • Originalfotoprints der Messung
  • Vorgangshistorie / Datenverarbeitungshistorie
  • Bauartzulassung der PTB
  • Eichschein des Messgeräts
  • Test- bzw. Kalibrierungsfotos
  • Ausbildungsnachweis des Bedienungspersonals
  • Wartungsprotokolle / Lebensakte des Messgeräts
  • Verkehrsbeschilderungsplan / verkehrsrechtliche Anordnung
  • Kopie der vollständigen Messreihe bzw. Video-/Messaufnahme

festzustellen, dass die Aufforderung zur Rücksendung der überlassenen CD/DVD binnen drei Tagen unzulässig ist.

hilfsweise anzuordnen, dass die Behörde Einsicht durch Übersendung elektronischer Kopien oder digitaler Daten an den Verteidiger bzw. dessen Sachverständigen zu gewähren hat, und zwar in einem Zeitraum, der eine sachgerechte Überprüfung ermöglicht.“

Rechtsanwalt Gregor Samimi, Fachanwalt für Strafrecht, 12203 Berlin, www.ra-samimi.de

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Autor/in des Artikels: Rechtsanwalt Gregor Samimi

Dieser Artikel wurde herausgegeben von Gregor Samimi.

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